Februar 2022

„Mit meiner Medaille möchte ich den Menschen Mut machen“

Ricarda Funk fährt in ihrem Kanu Slalom um die Hindernisse

„Mit meiner Medaille möchte ich den Menschen Mut machen“

Vergangenes Jahr machte sie ihre Olympia-Träume wahr: Ricarda Funk (29) aus Bad Neuenahr holte im Wildwasserkanal von Tokio sensationell Gold im Kanu-Slalom. für mich sprach mit der Top-Athletin über ihr tägliches Training, gesunde Ernährung, ihre Charity-Projekte und den inneren Schweinehund.

Wasser ist Ihr Element. Was fasziniert Sie so am Kanu-Slalom?

Die komplexe Mischung aus Tempo, Action und Geschicklichkeit. Als Kanutin wirst du in jedem Rennen neu gefordert. Du musst das Wasser „lesen“ können, auf jede Welle und Stromschnelle in Sekundenbruchteilen reagieren.

Wie landet man als junges Mädchen im Wildwasser?

Durch die Familie. Mein großer Bruder Alexander holte schon als Kind so manche Medaille bei Kanu-Wettkämpfen. Klar, dass ich ihm nacheifern wollte. Schon als Sechsjährige paddelte ich über den heimischen Baggersee. Bei meinem ersten Rennen wurde ich allerdings nur Vierte – von vier Teilnehmerinnen. Das hat meinen Ehrgeiz geweckt …

… und Sie Jahre später ans Ziel gebracht! In Tokio holten Sie Gold für Deutschland. Zeitgleich versank Ihre Heimatregion, das schöne Ahrtal, in den Fluten.

Für mich war das eine unglaubliche Achterbahnfahrt der Gefühle. Während im fernen Tokio mein größter sportlicher Traum in Erfüllung ging, brach dieser schreckliche Alptraum herein. Schon vor dem Wettkampf haben mich stündlich neue Hiobsbotschaften aus der Heimat erreicht. Und währenddessen steige ich in Tokio aufs Siegertreppchen und vergieße gleichzeitig Tränen der Freude und der Trauer. Am liebsten wäre ich in den nächsten Flieger gestiegen und hätte den Notleidenden zu Hause geholfen.

Immerhin haben Sie mit Ihrer Medaille ein paar Sonnenstrahlen der Hoffnung in die Heimat geschickt.

Mit meiner Medaille möchte ich den Menschen auch Mut machen. Nach dem Motto: Seht her, wir sind stark! Wir lassen uns nicht unterkriegen! Natürlich engagiere ich mich auch vor Ort. Eine dieser Initiativen heißt „Cycling for Kids“. Dieser gemeinnützige Verein fördert Hilfsprojekte für kranke Kinder und deren Familien. Auch für die Spendenaktionen der Sporthilfe Rheinland-Pfalz bin ich aktiv. Hinzu kommen weitere Charity-Projekte für Kindergärten und Sportvereine.

Wir alle kennen die strahlende Ricarda auf dem Siegertreppchen. Doch in Ihrer sportlichen Laufbahn gab es auch Rückschläge und Niederlagen. Wie gehen Sie damit um?

Eine Sportlerkarriere verläuft niemals nur steil nach oben. Natürlich freut man sich über Siege und Triumphe, doch Niederlagen gehören genauso dazu. Im wahren Leben ist das nicht anders. Auch da gibt es Höhen und Tiefen, Berge und Täler. Doch eine Talsohle ist zugleich die perfekte Basis, Anlauf zu nehmen und den nächsten Berg zu erklimmen.

Wie wichtig ist die Ernährung? Worauf achten Sie besonders?

Man ist, was man isst! Daher achte ich sehr auf eine ausgewogene, natürliche Ernährung mit gesunden Zutaten. Viel Vollkorn, Müsli, Obst, Gemüse und ordentlich Protein-Power, beispielsweise in Form von Quark. Gerade in den ersten 30 bis 60 Minuten nach dem Training versuche ich, meine Energiespeicher damit aufzufüllen. 

Sind Sie in Sachen Ernährung immer so diszipliniert? Oder sündigen Sie auch mal?

Zum Glück muss ich nicht auf mein Gewicht achten, da ich durch meinen Sport einen sehr hohen Kalorienverbrauch habe. Daher gönne ich mir natürlich auch mal ein Stück Schokolade.

Und Fast Food?

Nein, danke. Burger, Pommes und Cola nennt man aus gutem Grund „Junkfood“. Das meiste davon ist zu fettig, zu salzig, zu süß. Das macht auf Dauer nur krank, dick und träge. Viel lieber koche ich daheim selbst mit guten Zutaten. Der Gesundheit zuliebe.

In Corona-Zeiten werden viele von uns zu Couch-Potatos. Wie kann man Körper und Geist dennoch auf Trab bringen?

Die erste Regel: Runter vom Sofa und am besten raus in die Natur. Laufen, radeln, walken – Hauptsache Bewegung! Und wer das Fitnessstudio scheut, kann auch ohne Gewichte trainieren, zuhause in den eigenen vier Wänden. Dazu braucht man nicht mal Hanteln. Volle Wasserflaschen genügen. Im Internet findet man jede Menge Fitnessvideos dazu.

Olympiasiegerin und Weltmeisterin im gleichen Jahr. Mehr geht eigentlich nicht …

Mit Olympia-Gold und WM-Titel ist man natürlich auf dem sportlichen Zenit. Dennoch freue ich mich auf die Slalom-WM Ende Juli in meiner jetzigen Heimatstadt Augsburg. Und dann lebe ich den olympischen Traum noch weiter. Mal sehen, ob ich in Paris 2024 das Gold verteidigen kann.

Dort werden Sie auch in einer neuen Trend-Disziplin starten.

Ja, dem Boater Cross, einem recht spektakulären, fast rabiaten Kopf-an-Kopf-Rennen. Dabei stürzen sich vier Akteure gleichzeitig von einer drei Meter hohen Rampe in den Wildwasserkanal, mit dem Ziel, als Erster und möglichst fehlerfrei rund zehn Hindernisse zu umfahren. Da sind Spannung und Action vorprogrammiert!

Ihr „Tanz übers Wasser“ sieht so leichtfüßig aus, setzt aber sicher sehr hartes Training voraus. Wie sieht ein typischer Tag im Leben einer Top-Athletin aus?

Disziplin ist das A und O. Morgens wird zunächst 90 Minuten auf dem Wasser trainiert, danach geht es für rund zwei Stunden zum Workout, um die Muskulatur zu stabilisieren und zu kräftigen. Nachmittags steige ich wieder für 90 Minuten ins Kajak. Danach geht es regelmäßig zum Physiologen.

Wie wichtig ist mentale Stärke? Lässt sich das Lampenfieber vor dem Start einfach ausknipsen?

Früher war ich oft übermüdet, weil ich aus Nervosität vor wichtigen Wettkämpfen kaum ein Auge zugemacht habe. Dank Yoga, Meditation und progressiver Muskelentspannung habe ich mittlerweile zu einem viel gesünderen Schlafrhythmus gefunden. Natürlich werden Titel und Medaillen nicht allein mit den Armmuskeln, sondern vor allem im Kopf gewonnen. Mein Sportpsychologe hat mir gezeigt, wie man durch bestimmte Rituale und Routinen vor dem Start den Kopf frei kriegt. Außerdem mache ich mir stets bewusst, dass ich zuvor im Training alles gegeben habe. Dieser Gedanke gibt mir zusätzliche Sicherheit.

Sie sind in der Sportfördergruppe der Bundeswehr, sogar im Rang eines Feldwebels. Muss man da auch mal ins Manöver?

Natürlich bin ich auch schon in voller Montur durchs Unterholz gerobbt. Aber grundsätzlich sind wir Profi-Athleten von Manövern freigestellt, damit wir uns voll und ganz auf unseren Sport konzentrieren können. Die militärische Ausbildung habe ich natürlich durchlaufen und alle Feldwebel-Lehrgänge erfolgreich abgeschlossen.

Auf Ihrer Website findet sich der Spruch „Perfer et obdura“ – halte durch und sei hart. Ihr persönliches Lebensmotto?

Absolut. Talent ist eine Sache. Aber um seine Ziele zu erreichen, braucht es Disziplin und Ehrgeiz. Auch wenn man mal keine Lust hat oder das Wetter nicht mitspielt. Gerade als Leistungssportler gilt es, den inneren Schweinehund zu besiegen.