TITELTHEMA TITELTHEMA Völlig losgelöst von der Erde: 177 Tage schwebte Matthias Maurer (54) mit der Internationalen Raumstation ISS durch die dunklen Weiten des Weltraums, um in 400 Kilometern Höhe mehr als 150 wissenschaftliche Experimente durchzuführen. Im Interview spricht der Astronaut über seinen Alltag im All, das Betriebsklima an Bord, seine saarländische Heimat und sein spezielles Fitnesstraining in der Schwerelosigkeit. H err Maurer, wohl jedes Kind träumt davon, eines Tages durchs Weltall zu fliegen. Warum wollten auch Sie in jungen Jahren schon Astronaut werden? Matthias Maurer: Mein Berufswunsch war eher Düsen- jägerpilot. Damals waren in meiner saarländischen Heimat, dem St. Wendeler Land, sehr viele Überschall-Jets am Himmel unterwegs. So ein schnelles Flugzeug selbst zu steuern und die Welt von oben zu bestaunen, das hat mich schon als Kind ungemein fasziniert. Aber als Astro- naut zu den Sternen zu fliegen? Davon habe ich nicht mal zu träumen gewagt. Ich dachte immer, das ist nur Super- helden vorbehalten. Welche Superhelden-Eigenschaften muss man denn tatsächlich mitbringen, um im Auswahlverfahren gegen 8.500 Bewerber das Rennen zu machen? Für Weltraummissionen werden keine tollkühnen Test- piloten gesucht, sondern Wissenschaftler, die Spaß an der Technik haben und sich gut in ein internationales Team einfügen. Diesem Profil entsprach ich nach Ansicht der Weltraumbehörde ESA offensichtlich recht gut. Ich habe in vielen Ländern studiert, spreche sieben Sprachen und komme generell gut mit Menschen klar, selbst wenn sie aus unterschiedlichsten Kulturkreisen stammen. Hinzu kommt, dass ich nicht nur auf ein einziges Spezialgebiet fokussiert bin, sondern fachlich recht breit aufgestellt bin. Bevor Sie am 11. November 2021 vom Kennedy Space Center in Florida Richtung Weltall abhoben, wurden Sie von der ESA über viele Monate in speziellen Survival-Camps auf Ihre Mission vorbereitet. Training in einer Höhle, unter Wasser, in Eiseskälte, auf dem Meer. Gab es Momente, in denen Sie ans Aufgeben dachten? Aufgeben ist generell keine Option für mich. Wenn ich etwas beginne, dann versuche ich auch, es bis zum Ende durchzuziehen. Und wenn es hart auf hart kommt, beiße ich mich durch. Es sei denn, es besteht Gefahr für Leib und Leben. Dann ist es klug, im richtigen Moment inne- zuhalten und die Mission abzubrechen. Was die Survival Camps betrifft: Natürlich gab es Extremsituationen, in denen wir an unsere Limits geführt wurden – und darüber hinaus. Sinn und Zweck dieser Trainings ist ja, im Not- fallmodus nicht panisch oder hilflos zu agieren, sondern sicher, selbstbewusst und souverän die Situation zu meis- tern. Gab es mentale Übungen, mit denen Sie sich auf Ihr Welt- raumabenteuer vorbereiten konnten? Es ist immens wichtig, sich mental auf die verschiedenen Einsätze vorzubereiten. Insbesondere den Weltraum- spaziergang habe ich im Vorfeld x-mal geübt, bin jeden Handgriff in Gedanken durchgegangen. Gerade in Ext- remsituationen kann es überlebenswichtig sein, gelassen zu bleiben und einen kühlen Kopf zu bewahren. Und wenn ich ein besonders schwieriges, scheinbar unüber- windliches Projekt vor der Brust habe, dann erstarre ich nicht vor Ehrfurcht, sondern fokussiere mich – wie beim Treppensteigen – auf die vielen kleinen Schritte, die mich letztendlich zum Ziel führen. Wie fit und sportlich muss ein Astronaut sein – auf der Erde und im Orbit? Zum Glück erwartet niemand von uns, dass wir eine Gold- medaille bei Olympia holen, aber eine stabile Fitness, Be- weglichkeit und Kondition sollte ein Astronaut mitbringen. Ich selbst treibe nahezu täglich Sport, gehe schwimmen, laufen, Rad fahren oder schwitze im Fitnessstudio. Für unsere Weltraummissionen ist körperliche Fitness ele- mentar, da sich aufgrund der Schwerelosigkeit im All unsere Muskeln schneller zurückbilden und die Knochen rasch brüchig werden. Um diesem Phänomen entgegen- zuwirken, treiben wir auch im Weltall Sport – Laufband, Fahrrad, Kraftsport –, mindestens zwei Stunden täglich. 17