„AUF JEDEN FALL PROFESSIONELLE HILFE SUCHEN“ DR. KLAUS WÖLFLING ÜBER ONLINE-SUCHT Online-Sucht ist schon seit Jahren ein Thema. Zuletzt tauchte es wieder auf, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ankündigte, dass Online- Sucht in die neue Version des Katalogs offizieller Krankheiten (ICD 11 – Internationale Klassifikation von Krankheiten) aufgenommen wird. Wir haben uns mit Dr. Klaus Wölfling, Leiter der Ambulanz für Spielsucht an der Uniklinik in Mainz, zu diesem Thema unterhalten. es in der Regel zu einer stationären Therapie, meist sechs bis acht Wochen. In solchen Fällen kann dem Suchtverhalten nicht mehr im häus- lichen Umfeld begegnet werden, der Patient muss also erst einmal vom Medium Internet abgeschirmt werden. Und dann gibt es auch noch die ambulante Be handlung. Das sind dann nicht ganz so stark ausgeprägte Fälle? Genau. Auch da geht es natürlich um eine Abs- tinenz, aber nicht um Abstinenz vom Internet im Allgemeinen, sondern von dem speziellen Pro blemverhalten. Der Suchtdruck ist hier in der Regel nicht so groß, sodass man noch im häuslichen Umfeld behandeln kann. Die ambu- lante Therapie beginnt mit einer Komplett-Ab- stinenz, quasi zur Übung. Nach einer gewissen Zeit wird mit dem Patienten zusammen eine Abstinenzzeit entwickelt, die dann eingehalten werden muss. Gibt es denn Möglichkeiten, solchen Süchten vorzubeugen? Regeln sind hier äußerst wichtig. Kinder und Ju- gendliche lernen anhand von Regeln den norma- len Umgang mit dem Internet. Durch die Regeln können Kinder und Jugendliche besser lernen ein- zuschätzen: Was ist gut und was ist nicht gut? Na- türlich gehört dazu aber auch, dass das Übertreten der Regeln sanktioniert werden muss. Welche Personen sind besonders anfällig? Eher anfällig sind introvertierte Personen, die weniger Kompetenzen im Sozialkontakt haben. Es handelt sich häufig um relativ zurückgezo- gene Menschen. Was kann man tun, wenn man glaubt, dass je mand onlinesüchtig ist? Auf jeden Fall professionelle Hilfe suchen – eine Suchtberatung oder einen Arzt. Es muss eine Einschätzung erfolgen, ob wir es noch mit problematischem Verhalten oder schon mit Suchtver halten zu tun haben. Was passiert nach der Diagnose „OnlineSucht“? Dann geht es erst einmal um das Ausmaß, sprich: Wie stark ist das Suchtverhalten? Bei stark ausgeprägtem Suchtverhalten kommt DIE NEUN KRITERIEN Wann genau spricht man in der Medizin von Online Sucht? Insgesamt gibt es neun Kriterien, die man beach- ten muss. Sind mindestens fünf davon über ei- nen Zeitraum von mehr als einem Jahr gegeben, spricht man von Online-Sucht. Grob kann man sagen: Wenn jemand einen Lebensbereich, zum Beispiel Beziehung oder Arbeit, sträflich vernach- lässigt, ist das ein deutliches Warnzeichen. Dort treten dann meist sehr deutliche negative Ver- änderungen auf. Häufig liest man neben OnlineSucht auch von Spielsucht oder digitaler Kaufsucht. Sind diese gleich oder gibt es Unterschiede? Man spricht insgesamt von Online-Sucht, diese hat im Wesentlichen fünf Unterformen: Computer spielen, kaufen, chatten und soziale Netzwerke, Pornografie und den Bereich der Online-Glücks- spielsucht. Zählt dazu auch HandySucht? Das ist eher schwierig. Den Begriff findet man ab und an, das ist aber etwas, was sich wahr- scheinlich nicht durchsetzen wird – es ist ein- fach zu sehr auf das Gerät bezogen. Es geht eher darum, was auf dem Handy genutzt wird. Man kann Handys für Glücksspiele, Computer- spiele und so weiter nutzen. Aber eine allge- meine Handy-Sucht gibt es bisher nicht. Wie verbreitet ist OnlineSucht? In Deutschland spricht man etwa von einem Prozent der Bevölkerung, das betroffen ist. An- dere Länder haben deutlich höhere Zahlen, vor allem in Asien. Gibt es ein Einstiegsalter? Richtiges Suchtverhalten würde man ab dem 17. Lebensjahr diagnostizieren, 12- bis 16-Jähri- ge haben eher ein ausgeprägtes problemati- sches Verhalten. 14 | FÜR MICH Sind mindestens fünf davon über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr vorhanden, spricht man von Online-Sucht. • Verlust von Interessen: Hobbys oder Tätigkeiten, die vorher interessant waren, werden vernachlässigt. • Gedankliche Eingenommenheit: Der Betroffe- ne denkt im Vorfeld und nach Nutzung immer wieder über den Inhalt seiner Sucht nach. • Weitere Nutzung trotz Problemen: Der Betroffene ist sich der auftretenden (psycho- sozialen) Probleme bewusst, legt aber weiter- hin das schädliche Verhalten an den Tag. • Entzugssymptomatik: Beim Absetzen treten Entzugssymptome auf, z. B. innere Unruhe, Zittern, Gereiztheit etc. • Lügen: Über das Ausmaß etc. des schädli- chen Verhaltens wird gelogen. • Toleranzentwicklung: Der Betroffene muss • Gefährdung von Beziehungen: Beziehungen ein immer längeres und intensiveres Nut- zungsverhalten an den Tag legen, um den gleichen „Kick“ zu erreichen. – Partnerschaft, Familie oder Freunde – werden gefährdet, bis hin zum Abbruch. • Erfolglose Abstinenzversuche: Der Be- troffene hat erkannt, dass er ein Problem hat, kommt aber trotzdem nicht von dem schädlichen Verhalten los. • Dysfunktionale Emotionsregulation: Der Betroffene nutzt seine Sucht, um negative Gefühle zu verdrängen.