September 2024

Frauen brauchen emotionale Unterstützung

Frauen brauchen emotionale Unterstützung

Corinna Hansen-Krewer, Doula und Autorin

Nach einem kurzen Kennenlernen erkläre ich den Müttern den möglichen Ablauf des Wartens auf die Kleine Geburt und was für diese benötigt wird. Außerdem spreche ich mit ihnen über ihre Gefühlslage, fange hier Ängste auf und beantworte Fragen der Mütter. ​Neben Toilettenpapier und dicken Binden sind ein Sieb zum Auffangen des Kindes und kreislaufstärkende Lebensmittel sinnvoll. ​Liegt alles bereit, atmen die meisten Frauen erst einmal auf.

Erfahrungsgemäß ist es eine emotionale Stütze, zu wissen, wie lange der gesamte Geburtsvorgang dauern kann und welche Anzeichen es für einen Fortschritt gibt. Mütter haben in dieser Zeit die Möglichkeit, das Vertrauen in ihren Körper, die Verbindung zu ihrem Uterus und ihre Gebärfähigkeit wiederzuentdecken, was oftmals mit der Diagnose des Schwangerschaftsverlustes in Vergessenheit geraten ist. Besondere Rituale erleichtern die Zeit des Wartens, dadurch fühlen die Frauen sich aktiv und stark in ihrer Selbstbestimmung. Trotz der oftmals tiefen Traurigkeit entwickeln Mütter ungeheure Kräfte und realisieren, wozu sie und ihr Körper in der Lage sind. Von außen braucht es vor allem Verständnis, offene Ohren, offene Arme und die Fähigkeit, die Trauer mit auszuhalten. Sind diese Umstände stimmig, stellt dies eine gute Grundlage für ein stabiles Erleben des Verlustes dar.

Keine Mutter trägt Schuld an einem Schwangerschaftsverlust. Es gibt Dinge im Leben, die wir leider nicht beeinflussen können. Hilfreich ist das Vertrauen in das große Ganze, der Glaube an einen Seelenplan, der für unsere und andere Seelen vorgesehen ist. Des Öfteren arbeite ich mit Müttern, die ihren Frieden nach einer negativen Geburtserfahrung nicht wiederfinden konnten.Hier sind Schuld und Reue ein großes Thema, welches gut und liebevoll bearbeitet werden kann. Es braucht einfach eine komplett andere Denkweise, ein Mindset, mit dem die Frauen zurück in ihre Stabilität und zu ihrem Seelenfrieden finden.

Ich selbst erhielt nach der Diagnose meiner Fehlgeburt lediglich eine Überweisung zur Ausschabung. Man riet mir, bei starker Blutung die 112 zu rufen. Eine Hebamme war bei der ersten Kleinen Geburt zwar telefonisch an meiner Seite, kannte sich aber nicht wirklich gut aus. Diese negativen Erfahrungen haben mir gezeigt, was Sternenmamas tatsächlich für ein selbstbestimmtes Geburtserlebnis brauchen. Und es ist mir wichtig, dieses Wissen an andere Sternenmamas und begleitendes Personal weiterzugeben.

Eigentlich fiel es mir sehr leicht. Ich bin ein Mensch, der schon viel erlebt hat und somit auch viel verarbeiten musste. Was einerseits eine Belastung darstellt, war in diesem Fall ein Segen – ich hatte Übung mit dem Thema Verlust und auch im Umgang mit großen emotionalen Hürden. Und ich war geübt im Reflektieren und Aufarbeiten, daher war es für mich ein Geschenk, das Erlebte noch einmal bis ins Detail Revue passieren zu lassen. Dies hat dazu geführt, dass ich nicht nur für den Moment, sondern auch langfristig meinen Frieden mit dem Erlebten machen konnte.

Anfangs hatte ich vor, ausschließlich die Geschichte unseres Sohnes Jonathan niederzuschreiben. Durch den Austausch mit Sterneneltern und Fachpersonal stellte ich jedoch fest, wie überfordert die Gesellschaft mit dem Thema Sternenkinder ist. Somit war schnell klar, dass viele Menschen in meinem Buch zu Wort kommen werden und ich auch viele ehrliche und emotionale Bilder zeigen werde, nichts reduziert oder geschönt, damit die Menschen verstehen können, was es heißt, sein Kind zu verlieren.

Meine Erfahrung zeigt, dass viele emotional überfordert und auch schwer getroffen sind, wenn es um den Verlust eines Kindes geht. Beginnen würde ich bei der Aus- und Fortbildung des Fachpersonals, dem es oftmals an Feingefühl fehlt. Sätze wie „Stellen Sie sich doch jetzt nicht so an, das war doch noch nichts“, „Machen Sie doch einfach ein Neues“ oder „Nehmen Sie erstmal ab, dann klappt es bald schon wieder“ sind alles andere als hilfreich. Es mangelt oftmals an einer guten Begleitung, die Frauen werden ohne Aufklärung ins Krankenhaus geschickt, wo sie meist auch ohne weitere Informationen in den OP geleitet werden.

Erst kürzlich erlebte ich, dass eine Frauenärztin einer Patientin versuchte einzureden, sie sei gar nicht schwanger, obwohl mehrere Tests, darunter ein Bluttest, ein eindeutiges Ergebnis zeigten. Das Schwangerschaftshormon Beta-hCG war gesunken, sodass klar war, dass die Schwangerschaft nicht halten würde. Und wo keine Schwangerschaft, da kein Verlust und somit auch keine Trauer, die man möglicherweise auffangen muss.

Für die Gesellschaft wünsche ich mir einen ehrlichen Umgang mit dem Thema Trauer. Es ist keiner vor einem Verlust gefeit und ein Einander-Halten wäre hilfreich. Ich würde mir wünschen, dass das Thema Verlust bereits in der Schule behandelt wird, um möglichst früh einen guten Umgang damit zu erlernen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass es egal ist, zu welchem Zeitpunkt jemand einen geliebten Menschen verliert. Bei einer Fehlgeburt ist es jedes Mal der Verlust einer kleinen großen Liebe und die darf so lange und intensiv betrauert werden, wie nötig.

Was Freunde und Familie angeht, so empfehle ich immer, sich als Hilfe anzubieten – sei es beim Einkauf, bei der Kinderbetreuung oder der Vorbereitung des Begräbnisses. Denn Trauernden fehlt oftmals die Kraft, selbst um Hilfe zu bitten. Hier braucht es einfach Mut und ein offenes Herz. Kein Weglaufen, kein Ignorieren – das macht es für die Betroffenen nur noch schlimmer. Erfahrungsgemäß sind Sterneneltern dankbar für jede Unterstützung, die sie bekommen können. Auch Fragen, sofern sie mit viel Feingefühl und von Herzen kommen, sind erlaubt und verstärken das Gefühl der Trauer nicht zwangsläufig. Ganz im Gegenteil: Sie verhelfen Menschen zum emotionalen Austausch und In-Kontakt-Kommen.

Keine Mutter sollte nach einem Schwangerschaftsverlust um eine Krankschreibung betteln müssen. Leider geschieht das nicht selten, weshalb ich den gestaffelten Mutterschutz befürworte. Es bleibt abzuwarten, welche Grenzen von der Politik gezogen werden. Für mich als Expertin für frühe Verluste gibt es keine Grenze nach unten. Der Bedarf ist früh gegeben, und auch hier wünsche ich mir den individuellen und vor allem ganzheitlichen Blick auf die Mutter, die in ihrer Trauer und Gesundung nicht alleine gelassen werden darf.

Meine Fortbildung „Emotionale Begleitung Kleiner Geburten“ ist seit mehr als zwei Jahren regelmäßig gut besucht. Es war mir wichtig, mein erarbeitetes Wissen, eigene Erfahrungen und Skills in besonderer Form zu vermitteln. Wer an dieser Fortbildung teilnimmt, lernt unter anderem, welchen Einfluss die psychische Stabilität auf die Verabschiedung des Kindes und die Geburt hat. Ebenso wird vermittelt, was es braucht, um selbstsicher und stabil begleiten zu können und um die eigene Kraft nicht zu verlieren.

Neben Informationen zu möglichen Abschiedsritualen, zum professionellen Umgang mit Emotionen wie Trauer und Angst werden auch ganz praktische Themen behandelt, wie die Vorbereitung des Badezimmers, sodass die Kinder aufgefangen werden können. Wie bestärke ich die Frau, in Kontakt mit ihrem Uterus und dem Baby diesen besonderen Weg zu beschreiten? Wie hilft Energiearbeit dabei? Und wie wirkt sie sich auf den Körper aus? Das ist nur eine kleine Auswahl an Fragen, denen ich in meiner Fortbildung nachgehe. Um verstehen zu können, was eine Kleine Geburt bedeutet, zeige ich zudem ehrliche Fotos von Babys, Koagel, Gewebe und Fruchthöhlen.

In meinem neuen Buch beleuchte ich, ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen – und denen aus vielen Begleitungen –, wie leicht eine Kleine Geburt erlebt werden kann. Zudem zeige ich Missstände auf, die leider gravierende Auswirkungen auf die Mütter haben. Sternenmamas, Ärzte und Hebammen werden zu Wort kommen und es wird Verbesserungsvorschläge und Tipps geben – für Sternenmamas selbst, für begleitendes Personal und die Gesellschaft als solche. Es geht mir bei diesem Buch vor allem darum, selbstbestimmten Kleinen Geburten zu mehr Wertigkeit und Akzeptanz zu verhelfen und die Angst davor zu nehmen. Denn was wir oft vergessen: Eine Kleine Geburt ist ein völlig normaler und natürlicher Vorgang, zu dem unsere weiblichen Körper in der Lage sind. Jedes Sternenkind ist besonders und verdient einen besonderen Abschied. Dazu gehört auch das intensive Gefühl der Trauer, das wir zulassen müssen. Geht es doch bei einer Fehlgeburt um nichts weniger als den Verlust einer kleinen großen Liebe.

Erfahrungsgemäß erleiden die Mütter mit der Diagnose einen Schock. Leider wird darauf selten Rücksicht genommen; im Schockzustand erfolgt oft die OP, das Kind wird entfernt. Bei der OP kann es jedoch nicht nur zu Verletzungen der Gebärmutter kommen, auch Keime können eingebracht werden. Und: Vernarbungen in der Gebärmutter können in Folgeschwangerschaften Probleme bereiten und zu Komplikationen führen.

Problematisch ist auch, dass es keine psychologische Betreuung direkt nach dem Eingriff gibt. Schlimmstenfalls liegen die Mütter mit anderen Schwangeren auf einem Zimmer und sind auf sich allein gestellt. Aufgrund der Hormone fühlen sich die Frauen erst einmal weiterhin schwanger, sie befinden sich im Wochenbett, über das keiner spricht. Ganzheitlich betrachtet, bedeutet das: Der Körper ist schon weiter, Seele und Herz der Mutter kommen jedoch nicht nach.

Mütter hingegen, die sich direkt nach der Diagnose für den abwartenden Weg entscheiden, werden häufig mit Sätzen wie „Sie werden Ihre Gebärmutter verlieren, verbluten oder bekommen eine Sepsis“ unter Druck gesetzt. Ich habe schon erlebt, dass Frauen aus Arztpraxen und Krankenhäusern geworfen wurden, weil sie sich nicht ausschaben lassen wollten – so etwas darf einfach nicht sein.

Es ist wichtig, eine Frau ganzheitlich zu betrachten und auch ihre Erfahrungen mit einfließen zu lassen. Es gibt Mütter, die sich aufgrund schlechter Geburtserfahrungen oder anderer psychischer Belastungen keine Kleine Geburt vorstellen können und zutrauen. Es gibt aber auch Diagnosen wie eine Gerinnungsstörung, bei denen ich eine Kleine Geburt im stationären Setting passender fände. Grundsätzlich sollte jede Mama selbst entscheiden, und das geht eben nur mit vollumfänglichem Wissen durch gute Aufklärung.

Mein Rat, unabhängig davon, wie die persönliche Entscheidung bezüglich des Vorgehens ausfällt: Nehmen Sie sich Zeit, um Ihr Kind emotional und energetisch zu verabschieden. Erfahrungsgemäß gehen Frauen viel stabiler aus einem Verlust, wenn sie ihn aktiv gelebt und erlebt haben, wenn sie sich mit ihren Gefühlen auseinandergesetzt haben und beispielsweise den Abschied mithilfe von Ritualen zelebriert haben. Oftmals erfüllt es Mütter, wenn sie diese Erfahrung wirklich mit ihrem Körper durchleben können, um zu verstehen, was da tatsächlich geschieht. Eine gute Kleine-Geburten-Erfahrung wirkt sich positiv auf die Psyche der Mutter aus – eine schlechte jedoch ebenfalls. Das kann man umgehen.

Mütter wissen häufig nicht, dass sie Anspruch auf die Begleitung einer Hebamme haben und dass ihnen allumfassendes Wissen über alle möglichen Wege zusteht. Denn erst dadurch ist es den Frauen möglich, alle Entscheidungen selbstbestimmt und ohne Einfluss von außen zu treffen, um diesen besonderen Weg gemeinsam mit ihrem Kind in Liebe gehen zu können. Ich wünsche mir für alle Mütter Verständnis, Unterstützung und Zeit ohne Druck und Stress, um das Wertvollste in Frieden gehen zu lassen: Ihr eigenes Kind, welches einen ganz besonderen Platz in unserer Gesellschaft verdient hat. Für immer.

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