Rette mich, wer kann!
Während die Zahl der Bereitschaftsdienstpraxen sinkt, platzen die Notaufnahmen aus allen Nähten. Die Folge: überlastetes Personal und lange Wartezeiten für die Patienten, die tatsächlich schnelle medizinische Hilfe benötigen. Die IKK Südwest war in der Region unterwegs und hat sich ein Bild von der Notfallversorgung vor Ort gemacht. Das Fazit: Eine Reform ist längst überfällig.
Die Nase tropft. Ein unangenehmes Kratzen im Hals. Wenn da mal nicht eine dicke Erkältung im Anmarsch ist … und das ausgerechnet am Wochenende! Was tun? Gleich morgen früh zum Hausarzt, oder doch lieber heute schon in der Notfallambulanz vorsprechen?
Was auf den ersten Blick absurd wirkt, ist leider die Realität, mit der sich Notaufnahmen zunehmend konfrontiert sehen. Von Heiserkeit und Husten über chronische Wehwehchen bis hin zum Zeckenbiss – die Gründe für das Aufsuchen einer Notaufnahme sind nicht selten banaler Natur. „Das kann und darf nicht die Aufgabe einer Notaufnahme sein“, erklärt IKK-Südwest-Vorstand Prof. Dr. Jörg Loth, der gemeinsam mit seinem Vorstandskollegen Daniel Schilling im Sommer Kliniken aus der Region besucht hat, um vor Ort über die Problematik überlasteter Notaufnahmen zu sprechen.
So versorgte allein das Klinikum Saarbrücken im vergangenen Jahr 48.000 Notfallpatienten, davon zwei Drittel ambulant. Wenn, so der Plan, zum Jahreswechsel 2024/2025 fast die Hälfte der Bereitschaftsdienstpraxen im Saarland schließt, werde sich die Situation weiter verschärfen, sagt der Geschäftsführer und Ärztliche Direktor des Klinikums Dr. Christian Braun. „Für die Notaufnahmen sind dies große Herausforderungen, denn ein geringeres Angebot reduziert nicht die Nachfrage. Wir alle werden auf die neue Situation, die erwartbar war, reagieren müssen.“
Patienten gezielt steuern und aufklären
Eine gezieltere Patientensteuerung könne helfen, den seit Jahren steigenden Patientenzahlen Einhalt zu gebieten, sind sich Braun und Loth einig. Die von Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach geplanten Integrierten Notfallzentren an Kliniken seien ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Wir brauchen zentrale Ersteinschätzungsstellen, um Patienten in Zukunft in die medizinisch geeignete Versorgungsstruktur zu leiten“, fasst Loth zusammen. Zudem müsse eine Notfallreform auch die Patientenkompetenzen in den Blick nehmen und diese systematisch stärken.
Dies bestätigte ein Besuch bei der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz, bei dem die IKK-Vorstände mehr über die Erwartungen der Ärzteschaft an die geplante Notfallreform erfuhren. Eine Forderung der Ärzte: mehr Aufklärung der Patienten, wie man sich im Notfall richtig verhält. So sei vielen Menschen die Rufnummer des Bereitschaftsdienstes 116 117 zum Beispiel gar nicht bekannt.
Notfallversorgung neu denken
Bei der sogenannten ZuhörTour der IKK Südwest ging es aber nicht nur darum, den Finger in die Wunde zu legen. Auch innovative Ansätze der Notfallversorgung waren Thema, wie das Pilotprojekt Telenotarzt der BG Klinik Ludwigshafen, von dem sich Daniel Schilling vor Ort ein Bild machen durfte. Hierbei werden Rettungsdienste im Einsatz von Notärzten fernmündlich beraten und unterstützt. „Gerade in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz kann diese Form des telemedizinischen Supports zum Behandlungserfolg im Notfall beitragen“, so Schilling, der bei seinem Besuch der Unfallklinik auch im Rettungshubschrauber Christoph 5 Platz nehmen durfte.
Dr. Andreas Gather, Chefarzt der Klinik für Interdisziplinäre Rettungs- und Notfallmedizin (IRN), berichtet dabei aus dem praktischen Alltag: „Wir merken in unserer Unfallklinik täglich, wie oft Rettungsmittel ausrücken, obwohl das aus medizinischer Sicht nicht nötig wäre. Diese fehlen dann für echte Notfälle und belasten die ohnehin knappen Kapazitäten.” Nicht nur deshalb sind sich Loth und Schilling einig: „Wir müssen die Notfallversorgung in unserem Land in vielen Teilen neu denken.”
Das zeigte sich zuletzt auch im Gespräch mit Ärzten des Westpfalz-Klinikums und dem Bundestagsabgeordneten Matthias Mieves, der sich unter anderem dafür aussprach, bei künftigen Reformen die Zahl der Studienplätze im medizinischen Bereich mit in den Fokus zu nehmen.